SEK II: DER HEILIGE KRIEGER – MARTIN(I) IN ANDERS
„Sieben Uraufführungen in sieben Jahren“ lautet das Konzept der Theaterinitiative im Burgenland, die mit Siegmund Kleinls „Europas heiliger Krieger“ 2016 den zweiten Theatertext zur Uraufführung bringt, der zeitgleich als Buch erscheint.
Das Stück des burgenländischen Autors entwickelt vor dem Hintergrund der Vita Sancti Martini des römischen Schriftstellers Sulpicius Severus eine dramatische Geschichte um diese historische Gestalt, die das traditio-nelle Bild des Heiligen formal, sprachlich und inhaltlich völlig neu in den Blick rückt.
Die berühmte Legende von der Mantelteilung steht dabei im Spannungsfeld der immer größeren Kluft zwischen Armen und Reichen, die Versuchungen des Teufels stecken in den Verführun-gen medialer Verlockungen, der kriegsverweigernde Soldat wird zum gnadenlosen Kämpfer für den christlichen Glauben, der schonungslos gegen Ungläubige vorgeht und ihre Kultstätten, die Bankentempel, zerstört sowie ihre Eigentümer vernichtet, ehe er sich zur Gewaltlosigkeit bekennt.
Aus seiner mystischen Beziehung zum Göttlichen erwachsen ihm aber auch Energien, die Totes zum Leben bringen. Schließlich verfällt er auf eine geniale Strategie, wie man die Differenzen zwischen Arm und Reich in ein allen zugute kommendes Verhältnis bringen könnte.
Textbeispiele für Oberstufenschüler/innen:
Martinus:
Wer bin ich?
Nicht der, für den man mich hält.
Kein Held.
Die Wahrheit,
warum ich kein Soldat mehr sein wollte, war, dass ich den Stress dieser brutalen Realität nicht mehr ertrug,
in eine Art Depression verfiel,
wie viele heute,
die den Arbeits- und Erfolgsstress nicht mehr aushalten.
Ich wollte davon frei werden, tot oder lebendig.
Martinus:
Das eine oder andere stimmt ja,
richtig verstanden allerdings.
So die Geschichte mit dem Bettler:
Es war eine Art persönliche Notwehr gegen das Elend.
Es war einfach nicht auszuhalten.
Wie heute nichts anders.
Lässt man das Ausmaß der Elendskatastrophen heutzutage an sich heran,
hält man es nicht aus.
Es setzt dir derart zu, dass es am ganzen Körper schmerzt.
Alles zog sich in mir zusammen,
dass ich Angst hatte, einen Herzinfarkt zu kriegen.
Aus dieser Mitleidenschaft,
in die mein Herz gezogen war,
hat man dann Mitleid gemacht.
Ein Wort, das ich hasse.
Ich liebe die Leidenschaft,
nicht das Mitleid.
Mitleid, das ist so von oben herab wie die Statuen, die man von mir gegen mich errichtet hat. So arrogant,
wie ich da herunterschaue auf den Bettler, war ich nicht.
Martinus:
Eine Gnade war das Ende des Militärdienstes tatsächlich.
Ich wollte das nicht,
wollte nicht zum Militär.
Den Zivildienst gab es noch nicht.
Wer sich weigerte,
wurde mit dem Tod bestraft.
Einfältig wie ich war,
weigerte ich mich trotzdem,
Soldat zu werden.
Zum Glück war da mein Vater,
der mich gezwungen hat,
in die Armee des Kaisers einzutreten,
sonst wäre nichts aus meiner Karriere als Heiliger geworden.
Was so eine Sache ist,
ich meine, das mit der Heiligkeit
und mit der Heiligsprechung durch eine Kirche, die mit Heiligkeit wenig zu tun hat.
Legendär,
was Heiligen da alles angedichtet wird,
auch mir.
Würde man das alles glauben,
gäbe es keinen Glauben mehr,
nur noch Aberglauben.
Martinus:
Fatal das fixe Bild
das man sich von einem Menschen macht, von mir:
ein Pferdemensch, eine Art Kentaur,
vor dem ein Obdachloser hinfällig hinfällt, nackt.
Aber die Nacktheit nur angedeutet.
Man sieht ihn nicht in seiner ganzen Blöße, nicht sein Geschlecht.
Es könnte demnach auch eine Frau sein.
Eine Chorführerin, zum Beispiel,
die, ohne Engagement,
ganz heruntergekommen ist,
wie viele Schauspieler.
Ich habe es schon getan.
vom Anfang der Szene an
hab ich den Mantel der Bemäntelung abgeworfen, der aus mir gemacht hat, was ich nie war:
ein erhabener Heros der Nächstenliebe
und ein kompromissloser Glaubensfanatiker.
Martinus:
Ich wollte Mönch werden,
heraus aus einer Realität,
die ich schon früh als unerträglich empfand,
hinein in die freie Innenwelt
eines mystischen Daseins.
Weltflucht?
Mag sein.
Es war allerdings weder meine Absicht noch mein Ziel von meiner Mitwelt zu desertieren.
Ich wollte nur
dem großen Mysterium des Lebens
nahekommen,
im Alleinsein
das Alleinsein erfahren.
So wurde ich ein Ein-Zellner.
Erzähler_in:
Martin wird mit der Statue beim Eisenstädter Dom konfrontiert:
Martin
Das bin ich?
Das bin ich nicht.
Die Monumente müssen fallen.
Sie brauchen nur
einen momentum leve,
und schon sind sie Gefallene.
Wer findet noch Gefallen daran?
Denkmal?
Mal andenken gegen den Stein,
zertrümmern die Versteinerung
im Aus- und im Ansehen.
Sich heraussehen,
herausfinden,
herauserfinden
aus dem Zwangsmantel
aus der Bemäntelung,
die über Freiheit und Gerechtigkeit
gestülpt ist,
damit der Atem wieder frei wird.
Das war es, was ich wollte, will.
Wahr sein,
Wahrsinn,
um die Warnsinne in uns
zu stimulieren.
Damit der Mensch nicht abstirbt
in mir, in dir,
und das tote in uns,um uns
wieder zum Leben kommen kann.
Zu Staub ist Martin geworden
wie jeder Mensch.
Aus dem Staub hervorgegangen,
steht er uns lebendig vor Augen.