„Ich war eine Suchende“
„Ich bin eine Spätberufene“, schmunzelt Patrizia Spendier. „Heute mache ich das beruflich, was mich immer schon fasziniert hat.“ Doch der Weg zum ersehnten Berufsziel war kein einfacher: Ihre Eltern rieten ihr aufgrund des damaligen Lehrerüberschusses von ihrem Berufswunsch ab. So arbeitete die HAK-Absolventin als Buchhalterin, dann am Postschalter, war Ordinationsassistentin in einer neurologischen Praxis. „Ich war, was meinen Beruf angeht, bis zu meinem Studienbeginn eine Suchende“, gibt sie zu. Das Interesse an Religion, an Gott und am Glauben verlor sie aber nie. Vor zwölf Jahren wollte Patrizia Spendier ihr theologisches Wissen erweitern und besuchte den Theologischen Fernkurs der Erzdiözese Wien. Doch nach wenigen Wochen war damit Schluss. Patrizia Spendier sattelte um und inskribierte Religionspädagogik an der KPH Strebersdorf in Wien, um Religionslehrerin zu werden. Nebenbei arbeitete sie weiterhin und sammelte zusätzlich erste Unterrichtserfahrungen. Mit 50 hielt sie ihren akademischen Titel, den Bachelor, in den Händen.
Berufung und Hobby zugleich.
Heute unterrichtet die Mutter von zwei erwachsenen Kindern an den Volksschulen in Oberwart und Großpetersdorf und der Neuen Mittelschule Großpetersdorf. Insgesamt 22 Stunden. „Die Jüngste bin ich sicher nicht“, sagt sie augenzwinkernd; „aber ich bringe mich mit einem reichen Schatz an Erfahrung ein, der mir auch einen anderen Blick auf Vorgänge und Abläufe im Schulbetrieb erlaubt.“ Viel Zeit steckt sie in die Vorbereitung der Religionsstunden, da der Beruf gleichzeitig auch ihr Hobby ist.In einer Klasse bevorzugt sie einen bestimmten Unterrichtsbeginn: Nach dem Gebet gibt es eine Begrüßungsrunde, in der ein Kind das jeweils andere vorstellt. Dann folgt eine „Wohlfühlrunde“, wie die Lehrerin sagt, in der jede und jeder sagen darf, was in ihr oder ihm vorgeht. Hier brächten ihre SchülerInnen viel ein, erzählt Patrizia Spendier. „Sie bringen einem viel Offenheit und Vertrauen entgegen.“ Einen liebevollen, wertschätzenden und respektvollen Umgang verlange sie dabei von ihren SchülerInnen. Das Auslachen anderer Mitschüler sei strengstens untersagt. Jede Meinung zählt.
Umweltthemen, Solidarität sowie Sinnfragen
beschäftigen die Heranwachsenden besonders. Nicht nur sie – auch die Lehrerin lerne in jeder Stunde vieles dazu. Oft laufe eine Unterrichtseinheit jedoch anders ab als vorbereitet. Das fordere die Pädagoin zwar heraus, wird aber bewältigt. „Ich muss eben flexibel sein“, gibt sie zu und meint, dass 50 Minuten oft viel zu kurz seien, um sich bestimmten Themen ausführlich zu widmen.Eine Konstante gibt es in ihrem Leben: Gott spielte immer eine wichtige Rolle, sagt Spendier. Wenn sie zu ihm betet und sich dabei ihm anvertraut, weiß sie, dass er in ihrer Nähe ist. Ihre Augen strahlen. „Er hat mich auch zu meiner neuen Berufung geführt“, erzählt die 56-Jährige. Das Tagesevangelium liest sie regelmäßig. Ihre Oma weckte und förderte den Glauben bei Patrizia Spendier. Jeden Sonntag besuchte sie mit ihr gemeinsam den Gottesdienst in ihrem Heimatort Hannersdorf. Viele Jahre später gehörte sie dem Pfarrgemeinderat an und organisierte auch Fußwallfahrten nach Mariazell. Heute engagiert sie sich in der Pfarre Großpetersdorf, weil sich hier die Volksschule befindet, wo sie unterrichtet, erzählt die Religionslehrerin.
„Folge deinem Herzen, dann bist du auf dem richtigen Weg“ –
von diesem lässt sie sich nicht mehr abbringen, verfolgt ihn konsequent – und weiß dabei auch ihre verstorbenen Eltern auf ihrer Seite. Patrizia Spendier: „Wenn ich am Ende einer Stunde leuchtende Kinderaugen sehe, verlasse ich zufrieden und voller Freude die Klasse.“
Christopher Erben