Heiligkeit gibt es in verschiedenen „Größen und Formen“. Man kann sie nicht ordentlich in eine Schachtel stecken und archivieren, denn sie betrifft das unmittelbare Leben des Einzelnen mit Gott, einer Seele, die zugestimmt hat, auf die Stimme des Herrn zu antworten.
Heilige waren, wie wir in der Geschichte der Kirche sehen, Männer, Frauen, Kinder, ältere Menschen, Studenten, Arbeiter, Bauern, Dichter und Exzentriker. Es wäre für uns vielleicht einfacher, das Konzept der Heiligkeit zu akzeptieren, wenn es einheitlich wäre, aber Gott liebt die Vielfalt. Sein Wort liegt in den Händen von Künstlern wie auch im Herzen des ärmsten Menschen, den Sie kennen. Gottes Nähe weist einzigartige Erkennungszeichen auf und dies sind die Gaben des Heiligen Geistes. Jeder Heilige hat seine Zeit oder er kommt zur richtigen Zeit, wenn wir das so sagen können. Einer von ihnen war sicherlich Angelo Giuseppe Roncalli, der uns unter seinem päpstlichen Namen „Johannes XXIII.“ bekannt ist. Er wurde in einem ärmlichen Dorf in der Nähe von Bergamo als Sohn eines Bauern in einer Familie mit dreizehn Kindern geboren. Im Jahr 1904 wurde er in Rom zum Priester geweiht. Schon in jungen Jahren zeigte er Interesse an Geschichte und unterrichtete Geschichte im Priesterseminar.
Wenn Sie einen Löwenzahn in die Hand nehmen, der sein Blütestadium überschritten hat, und ihn anpusten, fliegt der Samen in unbekannte Richtungen davon. Der Samen von Angelo Roncalli ähnelt einem ausgeblasenen Löwenzahn, und der Atem, der ihn wegtrug, war der von Gott. Der Erste Weltkrieg verschonte niemanden, und auch er wurde von dessen Schrecken erfasst, als er als Kaplan an der Front tätig war. Seine offensichtliche und anerkannte Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, ein unverzichtbares Zeichen eines bedeutenden Apostels, führte ihn später in die Richtung der Diplomatie.
Im Dienst des Aufbaues diplomatischer Beziehungen innerhalb Europas, wirkte er zunächst als Nuntius in Bulgarien, dann in der Türkei und in Griechenland. In diesen diplomatischen Beziehungen kommt seine Herzlichkeit und sein Interesse an seinen Mitbrüdern und -gläubigen, in diesem Fall den Orthodoxen, zum Ausdruck, mit denen er eine Beziehung aufzubauen versuchte.
Während des Zweiten Weltkriegs setzte er sich aktiv für die Rettung der Juden ein und half ihnen bei der Auswanderung aus Osteuropa nach Palästina. Im Jahr 1953 wurde er zum Kardinal ernannt und 1958 im elften Wahlgang zum Papst gewählt. Selbst aus historischer Sicht wären es bescheidene Daten, wenn wir nicht in der Figur Angelo Roncallis, dem heutigen Papst Johannes XXIII., die Demut erkennen würden, sich führen zu lassen, etwas, das im Charakter jedes Heiligen vorhanden ist. Gott führt einen Menschen nicht wie es Menschen tun, indem er verschiedene Mittel der Manipulation und sogar Einschüchterung einsetzt.
Er macht es genau umgekehrt – indem er der Seele die Möglichkeit gibt, aus dem überwältigenden Heilsangebot seiner Liebe das auszuwählen, was am besten zu ihr passt. Laut Jakob an Josef im Alten Testament schneidert er der Seele eine „bunte Jacke“, die sie nicht enttäuschen/verraten oder ihren Persönlichkeitsreichtum schmälern, sondern im Gegenteil steigern wird. Obedientia et pax (Gehorsam und Frieden) war das bischöfliche Motto von Johannes XXIII. und betonte die Botschaft, dass Gehorsam gegenüber Gott persönlichen und kollektiven Frieden schafft.
Interessant ist, dass Johannes XXIII. trotz seiner weitläufigen Bildung und Lebenserfahrung, einen einfachen, lebendigen Glauben behielt, der ihn bis zum Ende dieses irdischen Lebens begleitete. Er führte ein Tagebuch. Darin sehen wir beispielsweise eine Ähnlichkeit mit der heiligen Kleinen Theresa vom Kinde Jesus, die ebenfalls ein Tagebuch Die Geschichte einer Seele, schreibt. Das Tagebuch von Johannes XXIII. wurde auch Tagebuch der Seele genannt, in dem er seine Eindrücke von seinem Dienst sowie alles, was mit seiner Spiritualität zu tun hatte, festhielt. Wir erfahren, dass er ein Mann des Gebets war, er betete gerne den Rosenkranz, nahm an der eucharistischen Anbetung teil, zog sich in die Einsamkeit zurück, ging zur Beichte und die Eucharistie war der Mittelpunkt seines Gebetslebens. Diese Details machen ihn jedem anderen Gläubigen ebenbürtig und zeigen tatsächlich, dass wir uns in Bezug auf die Heiligkeit auf unsere bunte Jacke verlassen können. Aber Gottes Gaben hören nicht auf, wenn wir es möchten, so auch nicht in seinem Leben. Offen und nah an den Menschen, wünschte sich Johannes XXIII., dass dies zur Norm für die ganze Kirche wird.
So eröffnete er 1962 das Zweite Vatikanische Konzil mit dem Ziel, dass die Kirche den Menschen in den konkreten, aktuellen Augenblicken näherkommt und sich für den Aufbau brüderlicher Beziehungen und des Dialogs mit allen einsetzt, einschließlich der getrennten christlichen Brüder und auch derjenigen, die sich als Atheisten bezeichnen, sowie Angehörige anderer Religionen. Obwohl es schon bei der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils mit seiner Gesundheit nicht zum Besten stand, veröffentlichte Papst Johannes XXIII. im Jahr 1963 die Enzyklika Pacem in Terris, Frieden auf Erden, die wir als eine Zusammenfassung seiner Hoffnung für die Menschheit betrachten können, einer weiteren heroischen Tugend, die er pflegte. Auch während seines Pontifikats hörte er in der turbulenten Zeit des Kalten Krieges nicht damit auf, diplomatische Beziehungen aufzubauen, weshalb er von den damaligen politischen Führern wie dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und dem russischen Präsidenten Nikita Chruschtschow geschätzt wurde. Johannes XXIII. zeigte keine Neigung zu politischen Strömungen, was viele taten. Jedoch verurteilte er das kommunistische Regime und jede Form totalitärer Ideologie.
Warum können wir ihn heute als wichtig erachten und zu ihm beten? Auch heute befindet sich die Kirche in einer Zeit des Gärens (in der es immer wieder brodelt), des Misstrauens gegenüber dem Nachfolger des heiligen Petrus, gegenüber dem kirchlichen Lehramt. Es gleicht einem Fenster, das schon lange geöffnet ist, manchmal nicht willens, den Wind zu spüren, der in die Flügel der Seele bläst, um seinen Weg, die Wahrheit und das Leben anzunehmen. Missverständnisse bestehen noch immer über die Grenzen von Brüderlichkeit und Offenheit hinweg, gegenüber dem anderen. Papst Johannes XXIII. wusste, dass es ausreichte, den anderen, so wie er ist, als Ausgangspunkt des Dialogs zu akzeptieren. Von da an kann jeder wachsen, wenn er möchte.
Papst Johannes XXIII. starb am 3. Juni 1963. Er wurde im Jahr 2014 von Papst Franziskus gemeinsam mit Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen. Vor seinem Tod sagte er die Worte: „Mein Koffer ist gepackt.“ Ich bin bereit, allein zu gehen. In seinen Koffer packte er die Liebe, den Glauben und die Hoffnung. So hoffen es auch wir.
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